Die Kornkreise des Muammar al-Gaddafi

Text | Robin Göckes

Foto | Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center

Auf einem Foto der Nasa durchbrechen ­mitten in der Küste kreisrunde dunkle Gebilde das Ocker der Sandwelt. Daneben ebenso dunkle Sechseck­formen. Künstliche Seen können das hier in der Sahara, im östlichen Libyen kaum sein. Eine Militäranlage? Giftgasfabriken? Ufo-Landeplätze?

Zum 25-jährigen Jubiläum der IZ waren wir neugierig: Wie lebt man dort, wo der 25. Längengrad auf den 25. Breitengrad trifft? Diesen Punkt gibt es viermal auf der Erde, zwei davon im Meer, einmal in einer unbewohnten Gegend in Ruanda. Doch an Treffpunkt vier heben sich wie grüne Inseln riesige Kreise, die einen Radius von mehr als einem Kilometer beschreiben, vom ockergelben Wüstenboden ab. Unter sengender Sonne und auf kargem Boden ragen Abertausende von Getreidehalmen in den Himmel, so als sei die umgebende Sahara selbst nur eine Fata Morgana. Hier in der Nähe des Ortes Al-Dschauf regnet es fast nie und dennoch gibt es Wasser genug. Denn mehrere hundert Meter tief im Erdreich schlummert ein gigantischer Wasserspeicher, der sich bereits vor tausenden Jahren gebildet hat. Er versorgt das Getreide und damit die vielen Menschen, die hier leben.

Der Aufstieg des kleinen Wüstendorfs Al-Dschauf beginnt in den 1970er und 1980er Jahren mit einer Vision des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi. Er träumt von politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit und sieht in dem unterirdischen Wasserspeicher eine veritable Chance, diese Ziele zu erreichen. Material wird herangeschafft, Brunnen werden gebohrt und schließlich die kreisrunden Felder in einer solchen Größe angelegt, dass sie sogar vom Weltraum aus zu sehen sind. In deren Mitte wird das Wasser an die Oberfläche gepumpt und mit Hilfe eines rotierenden Bewässerungssystems in feinen Tröpfchen verteilt. So können Gemüse und Weizen wachsen. Und auch die Viehzucht, meist Schafe, ist in größerem Umfang möglich.

Mit dem Wasser aus der Tiefe kommt nicht nur der Wohlstand, sondern es kommen auch die Menschen. Al-Dschauf wächst. Aus einer kleinen Siedlung, wo einst nur ein paar Hütten den Sandstürmen und der unerbittlichen Sonne trotzten, ist in den letzten Jahrzehnten eine mittelgroße Stadt gewachsen. Mitte der 1980er Jahre sollen rund 17.000 Menschen dort gelebt haben, 2012 waren es angeblich schon 40.000. Gesicherte Zahlen gibt es aus der Region kaum, die seit dem libyschen Bürgerkrieg 2011 immer wieder Schauplatz von Kämpfen ist. „Nach den Angaben der Regionalregierung lebten 2015 rund 60.000 Menschen in der Region“, erzählt Emraja Taher. Er arbeitet als freier Journalist und Fotograf in Al-Dschauf. Dort ist er geboren worden und aufgewachsen.

Schon seit Jahrtausenden sind die Kufra-Oasen Anziehungspunkt für Bauern der Region. Sie ermöglichten wegen ihres Grundwassers den Anbau von Datteln. Und sie waren Teil einer wichtigen Karawanenroute, die von Zentralafrika über Kufra nach Bengasi an der Küste des heutigen Libyen führte. Vor allem Tubu-Beduinen waren in früheren Jahrhunderten in der Region aktiv, ehe sie sich Mitte des 18. Jahrhunderts nach arabischen Angriffen in gebirgigere Regionen zurückziehen mussten. 1895 übernahm die religiöse Senussi-Bruderschaft die Kontrolle über das Gebiet. Wirklich ruhig ist es um den seit jeher umkämpften Landstrich seitdem nicht mehr geworden. In den 1930er Jahren eroberten italienische Truppen unter Mussolini die Oasen, im Zweiten Weltkrieg fielen sie unter französische Herrschaft.

In Al-Dschauf, rund 1.000 Kilometer südlich von Bengasi, gibt es heute ein Krankenhaus, ein Einkaufszentrum in der Innenstadt, einen staubigen Fußballplatz am Stadtrand, sehr sehr viele Moscheen und sogar einen Flugplatz. Der wurde im Zweiten Weltkrieg noch von den Franzosen angelegt. Heute wird er aufgrund von Schäden am Rollfeld kaum noch angeflogen. Die meisten Straßen sind staubige Pisten, die kleinen, flachen Häuser drängen sich dicht aneinander. Was die Menschen so zum Leben brauchen, können sie trotz der abgeschiedenen Lage des Ortes zwar in Al-Dschauf bekommen, berichtet Taher. „Aber die meisten Dinge sind sehr viel teurer als in den Küstenstädten.“

Wie die meisten Libyer in der Stadt lebt Taher in seinem eigenen Heim, zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester. „Nur wenige Menschen hier mieten sich ein Haus“, erzählt er. Die durchschnittliche Miete für ein Haus oder eine Wohnung liege zwischen 750 und 1.500 Dinar, umgerechnet zwischen 450 und 900 Euro. Wer ein Haus kaufen möchte, muss zwischen 150.000 und 300.000 Dinar, also etwa 90.000 bis 180.000 Euro investieren.

„Die meisten Menschen hier sind von der Landwirtschaft, der Viehzucht und dem Handel mit dem Sudan oder dem Tschad abhängig“, erklärt der Fotograf. Doch diese Lebensgrundlage droht zu versiegen. Es wird immer schwieriger, genug Wasser an die Oberfläche zu fördern – und immer teurer. „Als das Bewässerungsprojekt begann, sprudelte das Wasser noch ganz von selbst nach oben“, berichtet Professor Dr. Thomas Himmelsbach. Der Hydrogeologe ist für die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover tätig und verantwortet dort die Abteilung Grundwasser und Boden. Ein Arbeitsschwerpunkt des Instituts in der Entwicklungszusammenarbeit liegt im nachhaltigen Grundwasser-Ressourcen­management.

Der Druck, unter dem das Reservoir zum Zeitpunkt seiner Entdeckung stand, sorgte dafür, dass die Bewässerungsanlagen gut liefen. Lange blieb das aber nicht so. Mit jedem Liter, der zur Oberfläche sprudelte, verringerte sich der Wasserdruck. Schon innerhalb des ersten Jahres der Bewirtschaftung des Agrar-Projekts soll der Grundwasserspiegel um 15 Meter gefallen sein. Sollten ursprünglich 50.000 Hektar Land bewirtschaftet werden, wurden die Zielvorgaben von der libyschen Regierung schnell auf 10.000 Hektar gesenkt. Ursprünglich sollte das Wasser für etwa 50 Jahre reichen.

Heute weiß niemand ganz genau, wie dramatisch sich der Wasserstand tief unter dem Wüstensand in den vergangenen Jahren verändert hat. Klar ist aber, dass sich das angezapfte Reservoir nicht wieder erholen wird. „Was den Wasserstand angeht, gibt es mehrere Studien, die sich teilweise widersprechen. Aber sicher ist, dass immer tiefer gebohrt werden muss, um neue Grundwasserschichten zu erschließen. Und die Menge an Energie, die man braucht, um Wasser nach oben zu pumpen, wird immer größer“, erklärt Himmelsbach. Der angebaute Weizen kostet deshalb mittlerweile ein Vielfaches des Weltpreises.

Die Einwohner von Al-Dschauf sehen die Entwicklung weniger kritisch als der Wissenschaftler. „Die Menschen hier befürworten das Projekt, auch wenn es in den vergangenen 15 Jahren aufgrund von Managementfehlern Probleme gegeben hat“, sagt Emraja Taher. Doch den Menschen sind andere Schwierigkeiten derzeit sehr viel näher. Seit der Entmachtung Gaddafis wird die Region immer wieder von bewaffneten Konflikten verfeindeter Stämme erschüttert. „Die Oase spielt eine wichtige Rolle in Libyen, vor allem in ökonomischer Hinsicht“, sagt Taher. Entsprechend umkämpft ist sie. Konflikte zwischen verschiedenen Volksgruppen sind eher Regel als Ausnahme. „In der Stadt ist es ruhig, aber in der Region sind viele bewaffnete Milizen aktiv, die mit Raub, Entführungen und Lösegeldforderungen ihr Geld verdienen“, weiß Taher.

Außerdem liegt Al-Dschauf auf der Route vieler Flüchtlinge, die sich aus den angrenzenden Staaten, etwa dem Tschad, auf den Weg zur libyschen Küste und dann weiter in Richtung Europa bewegen. Die Kufra-Oasen sind wie einst am alten Karawanenweg eine wichtige Zwischenstation. „Jedes Jahr kommen zehntausende Migranten auf der Flucht vor Krieg und Armut durch die Region, die meisten von ihnen leiden unter den schwierigen Bedingungen in den Auffanglagern. Aber mit ihnen ist die Kriminalitätsrate gestiegen und die Situation wird schlechter und schlechter“, bedauert Taher.

Und noch ein anderes Projekt könnte die Situation vor Ort in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen: der „Great man-made River“. Ebenfalls noch unter Gaddafi angestoßen, soll eine große Pipeline die Küstenorte mit dem Grundwasser aus der Wüste versorgen. Sollte das im Moment stockende Projekt fertiggestellt werden, könnte sich der Grundwasserspeicher unter den Kufra-Oasen noch schneller entleeren als bisher. Viel Wasser geht bereits beim Transport verloren. Zwar weiß niemand so genau, wann die grünen Kornkreise trockenfallen, aber dass es so kommen wird, ist für den Hydrogeologen Himmelsbach sicher. Den Menschen in der Wüstenstadt ginge damit die Lebensgrundlage verloren. Gut möglich, dass sich die Libyer aus Al-Dschauf selbst irgendwann in den Strom der Menschen einreihen werden, die heute auf dem Weg zur Küste ihre Stadt passieren, auf der Flucht vor Armut und Gewalt.

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