Foto | Clouds Architecture Office

Ein Hochhaus hängt im All

Text | Dagmar Lange

Die Nasa fängt einen großen Asteroiden ein und positioniert ihn in der Erdumlaufbahn. Weltraumingenieure befestigen an ihm dann das mit weitem Abstand größte Hochhaus, das die Erde je gesehen hat. Ist das Science-Fiction? Architekten sagen nein.

Downtown New York, Trinity Place. Wie jeden Nachmittag um 17 Uhr sind die Verkehrswege bis zur erlaubten Höhe von 20 Metern verstopft. Über den Boden schwirren Paketdrohnen und Handwerker­robots, darüber fliegen Privatfahrzeuge und vor allen Dingen Unmengen von Yellow Cabs, den gelbfarbenen Flugtaxis, deren penetrantes Hupen bestenfalls einmal übertönt wird, wenn ein Rettungswagen des Presbyterian Hospitals mit stakkatoartigem Sirenengeheul versucht, sich einen Weg durch die Häuserschluchten zwischen World Trade Center und Wall Street zu bahnen.

Wer hier einen Ort der Ruhe sucht, muss seinen Blick weit nach oben wenden, weg von Blechlawinen und Leuchtreklamen und über die von Investmentmaschinen und Anwalts­androiden besiedelten Glaspaläste hinaus in den blauen Himmel: Dort oben, etwa 4.000 Meter über dem Meeresspiegel, hängt ein gigantischer Wolkenkratzer, der mit extra starken Seilen an einem im Weltraum schwebenden Asteroiden befestigt ist. Analemma Tower lautet der Name für das hängende Gebäude. Es ist stolze 28 km hoch.

Drohnen bringen Arbeiter nach oben in die Büros, einige ­Geringverdiener des Big Apple verdingen sich in den weitgehend von Robotern betriebenen Gemüsefarmen des Towers. Er ist wie eine eigene Stadt kon­zipiert, in der Menschen wohnen, andere wiederum nur arbeiten und wieder andere vorbeikommen, um einzukaufen oder sich unterhalten zu lassen. Gigantische Ausblicke locken Bewohner in das hängende Hochhaus.

Der Erde am nächsten liegt die Transferstation, die Schleuse in das Gebäude. Es folgen Einkaufs- und Unterhaltungsbereiche, Restaurants, Hotels und Serviced Apartments, dann die Businessarea mit den Arbeitsstätten der Kreativen. Darüber breiten sich über unzählige Stockwerke die Gemüsefarmen und die Wohnbereiche aus. Noch weiter oben wird es immer kontemplativer.

Die Stromversorgung erfolgt über Solarpaneele, die aufgrund der stärkeren Sonnenstrahlung in dieser Höhe effizienter sind als solche auf der Erde. Wasser steht in einem halboffenen Kreislaufsystem bereit. Dort wird es permanent recycelt und bei Bedarf durch Regen- oder Kondenswasser der Wolken ergänzt. Auch die Sauerstoffversorgung ist kein Problem. „In den unteren Ebenen reicht der natürliche Sauerstoff, erst in den höheren Ebenen wird ein Druckausgleich und eine Sauerstoffzufuhr benötigt, ähnlich wie in einer Flugzeugkabine“, so Ostap Rudakevych.

Rudakevych ist Gründungspartner von Clouds Architecture Office (Clouds AO) aus New York. Er sieht das Space-Zeitalter auf uns zukommen, von seinem Büro stammen die Pläne für den Analemma Tower. Clouds AO lotet seit Jahren die Möglichkeiten der Architektur außerhalb unserer Erde aus. So entstand auch der Entwurf für das Mars Ice House, eine Art Iglu, für den das Büro den ersten Preis bei einem von der Nasa ausgelobten Wettbewerb zur Besiedelung des roten Planeten gewann. Für das Projekt Analemma Tower hat sich das Architekturbüro mit Weltraumwissenschaftlern, Geophysikern und Ingenieuren verschiedener amerikanischer Universitäten zusammengetan.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Gebäude kein Fundament mehr brauchen“, ist der drahtige Mitvierziger überzeugt. Folgerichtig steht auch das Fundament des Analemma Tower nicht auf der Erde, sondern fußt im All. Genauer gesagt: Der Turm ist mit Seilen an einem großen Asteroiden befestigt, der in 50.000 Kilometer Höhe in der Umlaufbahn der Erde positioniert wurde und den Lauf der Erde mitverfolgt. Dabei beschreibt das Gebäude eine langgestreckte Acht (das Analemma) und erscheint alle 24 Stunden immer über den gleichen Städten wie New York, Havanna oder Panama City.
Die Nasa arbeitet in ihrer Asteroid Redirect Mission intensiv an der Frage, wie es gelingen kann, einen Asteroiden in einer konstanten Umlaufbahn zur Erde einzufangen. Ein Robot-Raumschiff könnte auf einem Asteroiden landen und ihn in eine stabile Umlaufbahn bringen. Oder eine Rakete könnte abgefeuert werden, um die Flugbahn zu korrigieren. 50.000 Kilometer über der Erde müsste der Asteroid für das Projekt Analemma Tower fixiert und mit Haltevorrichtungen versehen werden. Von diesen hängen unzählige lange, starke Seile herab, die das Hochhaus festhalten sollen.

Die Bauteile für den Analemma Tower sollen auf der Erde gefertigt und anschließend an ihren Standort hochgehievt werden, vergleichbar mit dem Bau der Raumstation ISS. Als idealer Produktionsstandort für die Baukomponenten wird Dubai angesehen, weil sich dort viele Hochhausspezialisten versammeln. Und nicht zuletzt sei dort auch das Bauen kostengünstiger als in New York. Das Architekturbüro hat ausgerechnet, dass in Dubai die Konstruktion zwischen 27 und 245 US-Dollar je Quadratfuß (0,0929 Quadratmeter) kosten würde, in New York müsste mit 400 bis 600 US-Dollar je Qua­dratfuß gerechnet werden. Schätzungen zu den gesamten Baukosten gibt es noch nicht, genauso wenig wie einen Investor.

„Das ist aber kein Argument, den Analemma Tower als utopisch abzutun“, betont Projektdesigner Rudakevych. Er beruft sich sowohl auf die Europäische Weltraum­organisation ESA wie auch auf die Nasa. Die Weltraummission Rosetta der ESA habe gezeigt, dass es möglich ist, auf einem beweglichen Kometen zu landen. Die Nasa plane für die 2020er Jahre, einen Asteroiden zu finden und nachzuweisen, dass er eingefangen und an einen bestimmten Platz gesetzt werden kann. An Asteroiden mangelt es nicht, doch aufgrund ihrer Größe oder Fluggeschwindigkeit sind viele für das Vorhaben ungeeignet. Der Nasa geht es zwar hauptsächlich um die Erforschung der chemischen Bestandteile von Asteroiden, also um die Ausbeute an Rohstoffen. Das Hochhaus wäre aber ein nettes Nebenprodukt.

Anders als bei den Plänen der Nasa gelangt der Besucher oder Bewohner ohne Raumanzug und ohne Spezialausbildung als Raumfahrer auf den Analemma Tower. Zum Vergleich: Die internationale Raumstation ISS schwebt in einer Höhe von 412.000 Metern oberhalb der Stratosphäre, dort ist die kosmische Strahlung ein großes Problem. Der Analemma Tower würde bis zu einer Höhe von 32.000 Metern hinaufreichen. Dadurch gibt es das Problem mit den kosmischen Strahlen nicht, weil die Erdatmosphäre davor schützt. Außentemperaturen von minus 40 Grad und das beinahe Luftvakuum in dieser Höhe machen einen Ausflug nach außen allerdings fast unmöglich. Die An- und Abreise hingegen wäre über individuelle Drohnen möglich, meint Rudakevych. Verschiedene Unternehmen wie Airbus oder der chinesische Drohnenhersteller Ehang würden daran arbeiten.

Es gibt noch eine ganze Menge Fragen zu beantworten vor einer Realisierung des aus dem All hängenden Hochhauses. Wie kann zum Beispiel das Onboarding sicher gelingen, wenn sich der Tower wegen der Erdrotation mit mehreren hundert Stundenkilometern bewegt? Woher kommt das Material für die Seile, die stark genug wären, um die Wolkenkratzerstadt zu tragen? Welches Material kann die Gesamtstabilität des höchsten Hauses der Welt garantieren? Und wie fängt man überhaupt einen Asteroiden ein? Die Antwort von Ostap Rudakevych lautet deshalb: „This project won’t happen in our lifetimes“.

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