Voodoo

Text | Monika Hillemacher

Foto | Arsène Kassegne

Ein Holzbrett, darauf festgebunden der gespaltene Kadaver eines schwarzen Huhns. Das Blut des Federviehs ist unter der Hitze der afrikanischen Sonne geronnen, die Eingeweide sind zusammengeschrumpft. Kopfüber hängt der Kadaver über dem Eingang der Lehmhütte. Wer hier mit schlechten Gedanken eintreten will, bleibt besser draußen. Denn der Geist des toten Huhns schützt Haus und Bewohner und verwünscht den Eindringling. Willkommen in Benin, dem Land des Voodoo.

Voodoo ist im westafrikanischen Staat Benin als Religion anerkannt. Ihr hängen geschätzt 80 Prozent der Einwohner an. Keine Hütte, keine Wohnung, weder Schule noch Klinik oder Straße entstehen ohne Beisein von Schöpfergott Mawu Lisa und seiner 401 Kinder. Sie alle wollen um Beistand für das Vorhaben gebeten und gnädig gestimmt sein, um Böses zu bannen. Weil Geben auch Nehmen bedeutet, verlangen die Götter als Gegenleistung Opfergaben. Und immer muss auch das Orakel befragt werden.

Dies hat auch Paul Akakpo so gehalten. Der Dolmetscher aus der 650.000 Einwohner zählenden Großstadt Cotonou baute zehn Jahre lang am Haus für seine Familie. Anders als in Europa verzögerten keine Behördenauflagen den Bau, sondern unzählige religiöse Zeremonien. Denn Akakpo plante Ungewöhnliches: „Ein Haus mit Fenstern und Türen“, berichtet er. Solche Häuser kannte er von Besuchen in Deutschland. In Benin sieht die traditionelle Bauweise lediglich einen Eingang vor, auf Fenster verzichten die Menschen. Was wohl die Nachbarn in Cotonou von Akakpos Idee hielten? Würden sie aus Neid das Projekt samt Familie des Bauherrn heimlich verhexen lassen? Würden womöglich verärgerte Geister durch die Fenster eindringen?

Vorsorglich holte Akakpo den Rat eines Voodoo-Orakels ein. Das warf zwei Orakelketten aus Nusskernen. Die abgelesenen Schicksalzeichen legten ihm umfangreiche Schutzriten ans Herz: für jedes Familienmitglied, für jeden Bauarbeiter, um sie vor Krankheit, Unfall und Pleite zu bewahren. Für jedes Fenster, für jede Tür, um böse Geister und Hexen fernzuhalten.

Zum Schutz vor ihnen vertrauen Bauherren in Benin auf ein Vordach, das einige Meter vom Haus entfernt und schräg zum Eingang versetzt aufgestellt wird. Vom Dach baumeln Blätter der Raffia-Palme herunter. Sie bilden einen Vorhang, den die Geister nach Überzeugung der Voodoo-Anhänger nicht durchdringen können. An den Dachbalken aufgehängte Opfertiere und manchmal ein Altar verstärken den Schutz.

Den für Schutzaufgaben zuständigen Göttern werden – quasi als Versicherung gegen drohendes Übel – Opfer dargebracht. So gilt es, den Himmelsboten Legba mit öligen Speisen davon zu überzeugen, dass er den Kontakt zu anderen Göttern wie dem eisernen Oguon vermittelt. Oguon hält seine schützende Hand sowohl über Soldaten und Autofahrer als auch über Arbeiter, die auf der Baustelle zu Schaufeln, Hacken und Hämmern greifen. Ein Schrotthaufen symbolisiert seinen Altar.

Pockengott Sakpata bringt und heilt Krankheiten. Er soll dafür sorgen, dass der Bauherr gesund und arbeitsfähig bleibt, damit er sein Haus bezahlen kann. Shango ist zu besänftigen, damit das aus Lehm oder Ziegeln errichtete Gebäude von Blitz und Donner verschont wird. Sonst würde das meistens mit Fasern aus Raffia-Palmzweigen gedeckte Dach sofort in Flammen aufgehen.

Die Mutter des Wassers, Mami Wata, soll mit gutem Willen die Finanzierung sichern. Die bunte Figur der Meerjungfrau fungiert als Glücksbringer bei materiellen Wünschen. Anstelle eines Immobilienkreditvertrags verlangt die Göttin nach europäisch anmutenden Gaben – schließlich soll sie im 15. Jahrhundert als Gallionsfigur an Schiffen der Portugiesen zu- und in den Voodoo-Glauben eingewandert sein. Die Dame mag Parfüm und Schmuck, akzeptiert aber auch Fanschals diverser Fußballclubs. Besonders wirkungsvoll tritt Mami Wata in Kooperation mit der in den Farben des Regenbogens schillernden Schlange Dan auf.

Im Nehmen sind die Götter wenig wählerisch. Sie mögen Ziegen, Hühner, Zigaretten, ausrangierte Mobiltelefone oder das Djassi, eine Mischung aus Kornmehl und Palmöl. Das Orakel bestimmt, was den Göttern zu geben ist.

Bei der Auswahl der Gaben spielt natürlich der Geldbeutel des Bauherrn eine Rolle. Benin gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Im Schnitt verdienen die Menschen 720 Euro im Jahr. Der Besuch einer Schule kostet um die 60 Euro. Paul Akakpo, der für den deutschen Ethnologen Henning Christoph arbeitet, gehört zu den Besserverdienenden. Dennoch erging es ihm wie manchem Bauherrn hierzulande: Die Ausgaben fraßen ihn fast auf: „Ich habe für jede Zeremonie sparen müssen.“

Es dauerte Jahre, das Geld zusammenzubekommen. Familienzuwachs verteuerte das Vorhaben noch weiter, denn jedes Kind erforderte zusätzliche Feierlichkeiten, die den neuen Erdenbürger in die göttliche Schutzpolice einbezogen. Akakpo wurde während der Bauzeit sieben Mal Vater. Unter dem Strich dürfte der Schutz des Hauses und seiner Bewohner teurer gewesen sein als die reinen Baukosten. Orakel kassieren einen Anteil von jedem Ritus. Neben Bargeld sind Naturalien als Obolus für die geleisteten Dienste willkommen: Das Blut eines Opfertiers ist den Göttern bestimmt, das Fleisch den Menschen.

Voodoo hat seinen Ursprung im alten Ägypten. Von dort breitete sich der Glaube Richtung Togo, Ghana und Benin aus. Benin gilt heute als Zentrum, hier entstand auch der Begriff Voodoo. Das Wort bedeutet in der Sprache des im Benin beheimateten Volks der Fon schlicht und einfach „Gott“. Afrikanische Sklaven brachten Voodoo nach Haiti, Kuba und in die Südstaaten der USA.

Henning Christoph beschäftigt das Phänomen Voodoo seit mehr als 40 Jahren. Der Ethnologe reiste erstmals in den 1970er Jahren als Journalist in den Benin. Mittlerweile ist das westafrikanische Land fast zur zweiten Heimat geworden, in der der Mann aus Essen neben Forschungsarbeiten verschiedene Entwicklungshilfeprojekte organisiert. Und er sammelt Erfahrungen, wie stark der Glaube an die Macht von Göttern und Geistern den Alltag beherrscht. Etwa beim Bau einer Naturheilklinik in Hountohoue, einem Ort in der Nähe von Cotonou. Dort hatte Christoph ein mehrere Hektar großes Grundstück gekauft. Sein Pech: Auf dem vorgesehenen Klinikgelände standen ein Affenbrotbaum Baobab und ein Irokobaum. „Dem Baobab werden magische Kräfte zugesprochen. Der bis zu 45 Meter hohe Iroko gilt als Wohnort der Hexen und als Gott, der die Seelen Verstorbener aufnimmt. Vor Baubeginn musste also geprüft werden, ob die Bäume bewohnt waren.“ Ein Orakel prüfte und prüfte und prüfte. Der Europäer zahlte und zahlte und zahlte.

Drei Schutzzeremonien und Amulette für sämtliche Beteiligten waren der Preis dafür, dass es Einheimische überhaupt wagten, ihren Fuß auf das Areal zu setzen. Auf einen Bauzaun verzichtete Christoph. Nach Landessitte signalisierten Tierschädel voller geheimer Kräuter und ein schutzmächtiges Hai-gebiss „Betreten der Baustelle verboten“. Trotz der Sicherheitsvorkehrungen verschwand ein Viertel des Zements. Die Bauarbeiter vermuteten böswillige Geister am Werk und blieben weg. Christoph dagegen beschlich ein ganz irdischer Verdacht: „Der Bürgermeister hatte zuvor einen Anteil am Material gefordert und nicht bekommen. Den hat er sich wohl geholt.“
Die Folgen des Streits spürte Christoph am eigenen Leib. Abends schwollen seine Füße dick an. Er rief Paul Akakpo zu Hilfe. Der sei voller Panik mit einem „Erste-Hilfe-Koffer gegen schwarze Magie“ angerückt, erzählt Christoph. Der Koffer enthielt Schnapsflaschen und Kräuter. „Das ist wie die Haus­apotheke bei uns“, sagt der Ethnologe, dem die Mittelchen halfen. Schwarze Magie war jedoch mitnichten gegen ihn im Einsatz, sondern ein Kontaktgift. Das hatten Gehilfen des wütenden Bürgermeisters auf die Terrasse von Christophs Wohnhaus am Strand von Cotonou gestrichen, über die er mit nackten Füßen gelaufen war. Gift gehört zu Voodoo: „Aus Sorge, vergiftet zu werden, wischen die Menschen Stühle, Tassen und Möbel ab, bevor sie sie benutzen.“ Christoph verkaufte schließlich sein Haus.

Das Klinikgebäude, dessen Bau die Ursache für die Probleme mit seinem eigenen Haus war, funktionierte immerhin eine Zeitlang – im Unterschied zu einem 60 Kilometer entfernten Krankenhaus. Es stehe leer, weil ahnungslose Entwicklungshelfer vor dem Eingang einen Iroko fällten. Aus Furcht vor der Rache der ihres Wohnorts beraubten Geister gehe kein Mensch dorthin.

Diese Angst fährt auch auf einer Straße in Cotonou mit, nachdem deutsche Ingenieure eine Legba-Statue beiseite räumten, um die herum der Verkehr bislang unfallfrei rollte. Nach der Fällaktion landeten Autos auf schnurgerader Spur regelmäßig im Acker. „In den Köpfen spukte immer der Gedanke an Legba. Weil er fehlte, dachten die Autofahrer, es gebe einen Unfall.“ Vor Schreck wurde dann tatsächlich das Steuer verrissen und der Gedanke Realität.

Hilfreich ist die Macht des Voodoo trotz alledem. Zum Beispiel bei der Suche nach einer Wohnung: Wer in Benin eine Bleibe sucht, fragt das Orakel, wo eine Unterkunft zu finden ist, die den Wünschen entspricht. Vorhergesagt wird mindestens ein geeignetes Viertel, mit viel Glück nennt das Orakel sogar den Namen eines Vermieters. Dabei dürfte allerdings weniger Magie im Spiel sein als ein weitverzweigtes, gut funktionierendes Kontaktnetz. Schließlich erfahren Orakel und Hexer häufig als erste, wo eine Wohnung frei wird. Sie sind nämlich auch Ansprechpartner für Vermieter, die säumige Mieter mahnen wollen. Wer eine mit geheimen Sprüchen besprochene Hahnenkralle auf seiner Fußmatte findet, der weiß: Das ist die allerletzte Warnung vor dem Rauswurf.

Leser der IZ sind vor solchem oder ähnlichem Ungemach jedoch jetzt und in Zukunft bestens geschützt. In einer eigens für die Zeitung ausgerichteten Zeremonie verspricht das Orakel uns allen großen Erfolg – wenn wir mit Verständnis, Achtung und Respekt gegenseitig verbunden bleiben. Im Klartext: Kündigen Sie Ihr Abo besser nicht!

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